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Posttraumatische Belastungsstörung F43.1
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich nach dem
ICD-10 um eine verzögerte (protrahierte) Reaktion auf ein belastendes
Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder
katastrophenartigen Ausmaßes (kurz oder lang anhaltend), die bei fast
jedem Menschen eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Nach dem
DSM-5 haben die Betroffenen die Erfahrung von Todesbedrohung,
Lebensgefahr oder starker Körperverletzung gemacht bzw. die Bedrohung
der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder einer anderen Person erlebt.
Bei Kindern sind aufgrund des Entwicklungsstandes unangemessene
sexuelle Erfahrungen inbegriffen. Traumatisierend wirkt nicht nur die
Bedrohung der körperlichen Integrität, sondern auch die Bedrohung der
fundamental menschlichen Erfahrung, eine autonom handelnde und
denkende Person zu sein. Das Sich-Aufgeben und der Verlust jeglicher
Autonomie in der Zeit der traumatischen Erfahrung stellen nach neueren
Erkenntnissen an vergewaltigten oder inhaftierten Menschen – unabhängig
von der Lebensbedrohung – verschärfende Belastungsfaktoren dar.
Man kann folgende Arten traumatischer Erfahrungen unterscheiden:
•
lndividuelle Gewalt: ständige körperliche Misshandlung als Kind,
einmalige oder mehrfache Vergewaltigung, als Kind ständiger Zeuge
von Gewalt in der Familie, Verbrechen wie z.B. Banküberfall,
Entführung, Geiselhaft, versuchter Raubmord, Körperverletzung,
Misshandlung, Folterung, angedrohte Ermordung.
•
Kollektive Gewalt: Erfahrung von Krieg, Kampfhandlungen oder
Terrorismus, Kriegsverwundung (Abschuss als Pilot, Explosion einer
Granate), Aufenthalt im Luftschutzkeller bei Fliegeralarm,
gewaltsame Entwurzelung (Verschleppung, Verfolgung, Vertreibung),
unmenschliche Haftbedingungen (Konzentrationslager, politisch
motivierte Haft), Aussteiger aus Sekten.
•
Naturkatastrophen: Großbrand, Blitzschlag, Überschwemmung,
Dammbruch, Bergrutsch, Lawinenunglück, Erdbeben,
Vulkanausbruch, Tornados.
•
Technikkatastrophen: Zeuge oder Beteiligter an einem schweren
Autounfall, Eisenbahn-, Schiffs- oder Flugzeugunglück, Explosion,
Arbeitsunfall, Chemieunfall.
•
Körperliche oder psychische Extrembelastungen: Giftgasunfall,
schwere Verbrennungen oder Schmerzzustände, Gehirnblutung,
überlebter Herzstillstand, schwerer allergischer Schock,
Knochenmarkstransplantation, lebensbedrohliche Erkrankung.
Posttraumatische Belastungsstörung: Die Angst vor sehr belastender Wiedererinnerung an lebensbedrohliche Situationen
Zentrale Merkmale
Nach der Auftretenshäufigkeit kann man zwei Arten von Traumata
unterscheiden:
1. Einmalige traumatische Erfahrung: Überfall, Vergewaltigung, Unfall.
2. Lange andauernde bzw. wiederholte traumatische Erfahrung: Krieg,
jahrelanger sexueller Missbrauch, andauernde körperliche
Misshandlung.
Die Störung entwickelt sich charakteristischerweise nicht sofort nach
dem traumatischen Erlebnis, wie dies bei einer akuten
Belastungsreaktion oder einer Anpassungsstörung der Fall ist,
sondern erst Wochen bis Monate später, doch selten später als
sechs Monate nach dem Trauma. Das wesentlichste Merkmal stellt
das ungewollte Wiedererleben von Aspekten des Traumas dar.
Es treten dieselben sinnlichen Eindrücke (z.B. bestimmte Bilder,
Geräusche, Geschmacksempfindungen, Körperwahrnehmungen)
sowie gefühlsmäßigen und körperlichen Reaktionsweisen auf wie zum
Zeitpunkt der traumatischen Erfahrung. Alles, was an das Trauma
erinnert, wird als sehr belastend erlebt und deshalb gemieden.
Bestimmte Gedanken, Bilder und Erinnerungen werden unterdrückt
und verschiedene Situationen des Alltagslebens vermieden.
Die Störung und dessen Ausmaß wird nicht allein durch das Trauma
an sich definiert, sondern vielmehr auch durch die subjektive Reaktion
darauf, die auf die unzureichende Verarbeitungsfähigkeit hinweist (z.B.
intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen, bei Kindern oft
chaotisches oder agitiertes Verhalten).
Die emotionale Befindlichkeit kann von Patient zu Patient sehr
verschieden sein, ist jedoch gewöhnlich charakterisiert durch eine
Mischung von panischer Angst, großer Traurigkeit, intensivem Ärger,
emotionaler Taubheit und starken Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen
und Schamgefühlen. Es besteht eine ausgeprägte emotionale,
kognitive und psychovegetative Übererregbarkeit.
Eine posttraumatische Belastungsstörung ist nach den neuen
Diagnoseschemata durch drei zentrale Symptomgruppen
charakterisiert:
1.
intrusives (aufdringliches) Wiedererleben,
2.
Vermeidung traumarelevanter Reize bzw. reduzierte emotionale
Reagibilität,
3.
Übererregtheit (körperlich, emotional, kognitiv).